«Browserspiele müssen gratis sein – bezahlt wird für virtuelle Güter»

Game-Legende William «Trip» Hawkins über das Ende der Apps, die Datenkrake Facebook und seine Spiellust

 

 

Foto: Jean Revillard

Man stelle sich vor, Henry Ford hätte Ford verlassen, um eine andere Firma zu gründen. Genau das hat Trip Hawkins getan. Der Amerikaner gründete Electronic Arts, führte die Spielfirma zum Erfolg und verliess sie, um ein neues Geschäft zu starten. Wir trafen den Computerspielpionier diese Woche in Neuenburg.

 

Mr. Hawkins, vor fast 30 Jahren gründeten Sie Electronic Arts (EA), einen der grössten Computerspielhersteller der Welt. Wie ist es dazu gekommen?

Spiele haben mich schon als Kind fasziniert. Ich liebte komplexe Brettspiele wie «Dungeons und Dragons», die man mit Plan und Figuren spielte. Leider wollte niemand mitspielen, die Leute hockten lieber vor dem Fernseher. Damals entwickelte sich in mir der Wunsch, möglichst viele Menschen zum Spielen zu bringen.

Sie haben also eine Mission?

Eher eine Passion. Als ich 1971 den ersten Computer sah, wusste ich, dass man alles in diese Kiste packen und auf den Bildschirm bringen musste – «the real life in a box». Dann würden auch jene spielen, die so gern vor dem Monitor sassen. Ich studierte Computerwissenschaften und beschloss 1975, in sieben Jahren eine Computerspielfirma zu gründen.

Sie wussten 1975, dass Sie 1982 EA gründen würden?

Genau. Ich war der Zeit voraus, die Leute hatten noch keine Computer daheim. Ich rechnete mir aus, dass in sieben Jahren genug Leute einen Heimcomputer haben würden, um jene Spiele zu spielen, die ich machen wollte.

Als Sie EA gründeten, waren Sie Strategiechef bei Apple.

Ja, ich wollte helfen, Heimcomputer unter die Leute zu bringen, damit ich später Spiele dafür entwickeln konnte. Nach meinem Harvard-Abschluss absolvierte ich einen MBA in Stanford, um mehr übers Business zu lernen, und heuerte 1978 bei Apple an.

Wie war das damals bei Apple?

Als ich anfing, waren wir 50 Leute, die bis dahin 1000 PC verkauft hatten. Vier Jahre später waren wir eine der 500 umsatzstärksten Firmen der Welt mit 4000 Angestellten und fast einer Milliarde Jahresumsatz.

Wie erlebten Sie denn die Apple-Gründer?

Steve «Woz» Wozniak war ein wirklich guter Typ, wir verstanden uns sofort und sind auch heute noch Freunde. Der andere Steve war schon damals schwierig. Er ist eine faszinierende Persönlichkeit, und ich habe grossen Respekt von seiner Leistung. Aber er macht es einem nicht leicht, mit ihm befreundet zu sein. Die beiden verstanden übrigens überhaupt nichts vom Business, wie Höhlenmenschen. Der wichtige Stratege im Hintergrund war Mike Markkula, mein erster Chef. Bei ihm lernte ich, zu planen und Strategien zu entwickeln.

Wären Sie geblieben, wenn Sie gewusst hätten, was Apple erreichen wird?

Nein, ich hatte ja meine Passion. Ich wollte Games machen und 1982 meine Firma gründen und habe das dann getan.

Und revolutionierten kurzerhand die Spielindustrie ...

Ja, ich ging nach Hollywood und war der erste, der Spielsoftware als Kunstform verstand und Entwickler wie Künstler promotete. Wir warben mit Fotos unserer ersten Designer, wie man sie damals auf Rockalben fand. Deshalb auch der Name «Electronic Arts». Und ich war der Erste, der Software direkt in die Läden brachte, ohne einen Distributor.

Heute machen Sie mit Ihrer Firma Digital Chocolate Games für unterwegs ...

Ja, aber lassen Sie mich noch erklären, warum ich 1991 die 3DO Company gründete: Niemand stellte die Konsolen her, die ich mir für meine Spiele wünschte. So startete ich 3DO mit der Absicht, einen neuen Plattformstandard zu entwickeln, auf dem Hersteller Konsolen bauen und verkaufen konnten. Die 3DO war bereits auf 3-D-Grafik ausgelegt.

War es nicht hart, EA nach fast zehn Jahren Adieu zu sagen?

Ich hatte nie das Gefühl, dass ich EA verlassen hatte. Ich gründete 3DO als Schwesterfirma innerhalb von EA. Die beiden Firmen wurden aber zunehmend Konkurrentinnen, und so konnte ich wegen Interessenkonflikten nicht Chef von beiden bleiben. Es waren beides meine Kinder: das eine längst erwachsen und erfolgreich, das andere noch ein Baby, das meine Hilfe brauchte. Ich entschied mich für das Baby.

Haben Sie es je bedauert?

Oh ja, ich habe EA sehr nachgetrauert. Ich wollte immer wie mein Vorbild Walt Disney viele Innovationen in derselben Firma hervorbringen. Im Silicon Valley dagegen ist es Mode, neue Firmen zu gründen. Das bedaure ich also nicht. Aber ich bin traurig darüber, dass uns am Schluss Konflikte auseinanderbrachten.

2003 gründeten Sie Digital Chocolate. Was interessierte Sie an der mobilen Plattform?

Ich sah im Handy die Zukunft. Damals war gerade die Internetblase geplatzt. In Japan hatte aber der mobile Markt schon abgehoben. Ich rechnete damit, dass das bald auch im Westen passieren könnte und schrieb einen Businessplan, der Internet, das Miteinanderspielen und den Kauf von virtuellen Gütern vorsah.

Damals war WAP aktuell, das fürs mobile Web nicht taugte.

Ja, die Mobilfunkanbieter haben uns überhaupt nicht verstanden und verfügten nicht über die nötigen Systeme für Gratisspiele oder soziale Features. So entwickelten wir simple Games für Java-Handys. Wir hatten grosse Erfolge, über 100 Titel gewannen Awards. Aber das war ein schwieriger Markt. Wir machten auch Gratisversionen fürs Web. Dann kam das iPhone, auf das wir unsere Titel portierten. Alle waren Top-1-Titel, aber finanziell war auch das zu wenig effizient.

Anfangs hatten Sie das iPhone euphorisch begrüsst, heute kritisieren Sie Apple.

Apple ist ein Zwischenhändler, den es wie alle Retailer nicht mehr braucht. Heute haben alle Zugang zum Internet, und Entwickler sollten sich nicht von Apple einschränken lassen. Die Zukunft ist der Browser.

Aber künftig werden wir doch vermehrt mit Apps aufs Internet zugreifen.

Falsch, der Browser ist die Zukunft. Die Leute wollen es möglichst einfach und bequem haben. Apps muss man herunterladen und dann auf dem Handy unter zig Apps suchen ... Der Browser hat schon auf dem PC gewonnen. Er wird sich mit der Datenwolke auch auf Tablets und Smartphones durchsetzen. Es wird noch etwas dauern, bis wir einen Browser haben, der für unseren Finger auf dem Handyschirm gemacht ist, aber es wird passieren.

Liegt im Browser also auch die Zukunft der Games?

Ja, und die Browserspiele müssen gratis sein; bezahlt wird für virtuelle Güter im Spiel. Kostenlose Social Games mit virtuellen Gütern – darauf setzen wir seit zwei Jahren.

Welche Rolle spielt Facebook dabei?

Wir mussten vom Handy auf den PC wechseln und das 2010 auf Facebook ausprobieren. Das ging sehr gut, wir konnten unseren Umsatz im letzten Quartal im Vergleich zum Vorjahr verdoppeln. Jetzt wollen wir unsere Spiele auf möglichst viele Plattformen und Bildschirmgrössen bringen. Wir haben bereits einige Social Games mit virtuellen Gütern auf dem iPhone, Android-Handys und auf eigenen Websits.

Weil die Abhängigkeit von Facebook zu gross ist?

Ja. Facebook will ein grosses Inserategeschäft aufziehen, mit echten Daten von echten Leuten. Und so machen sie auch die Regeln. Aber das passt nicht zu uns. Viele Gamer wollen etwa anonym spielen. Auch Nichtmitglieder sollen unsere Spiele spielen können und Mitglieder sie auch anderswo spielen können. Unsere Websits sind «Facebook-connected», das heisst, man kann sich mit seinen Freunden verbinden, wenn man will. Dieses Modell wird kommen. Auch Marktführer Zynga beginnt damit.

Wird es nicht immer Leute geben, die Hardcoregames spielen wollen?

Für Hardcoregames wird es immer einen Markt geben, aber es wird ein Hobbymarkt sein. Es ist wie mit dem Sport: Als wir jung waren, machten wir alle Sport, wenn wir älter sind, schauen wir Sport am TV. So wie wir Profigamer am TV bewundern. Aber der Rest von uns will Spiele spielen, die wir beherrschen, so wie wir Tennis oder Golf auch als Erwachsene ausüben können.

Was werden Sie in Zukunft beruflich in Angriff nehmen?

Ich wollte immer mehr Leute zum Spielen bringen und es Entwicklern ermöglichen, noch bessere Spiele zu machen, damit noch mehr Leute spielen können. Das werde ich wohl auch den Rest meines Lebens tun. Aber in welcher Form, ist offen.

 

Vom Entwickler von PC-Spielen zum Spezialisten für Social Games

William M. «Trip» Hawkins III ist eine Legende. Es gibt kein Computerspiel-Geschichtsbuch, in dem er nicht als Pionier gefeiert wird.

1982 gründete er in Kalifornien die Videospielfirma Electronic Arts (EA). Noch heute ist sie eines der grössten Unternehmen im weltweiten Gamegeschäft. Er verliess EA 1991 und baute die Firma 3DO auf, mit der er Konsolenhardware lizenzieren lassen wollte. Das ging schief, und 3DO verlegte sich auf die Entwicklung von PC- und Video-Spielen. Als 3DO 2003 in Konkurs ging, startete er noch im selben Jahr Digital Chocolate (DC) und begann Handygames herzustellen. Heute zählt DC 400 Angestellte. Bekannte Titel sind «Tower Bloxx» oder «Millionaire City» auf Facebook. Als seine grössten Erfolge bezeichnete er das Spiel «Dr. Jay and Larry Bird», das erste EA-Sportspiel: «Und es war das erste Videogame, in dem eine Berühmtheit auftrat.» Der 57-Jährige lebt mit seiner dritten Frau und vier Kindern (7, 19, 16 und 18) in San Mateo, Kalifornien. «Wir spielen die ganze Zeit. Mein Haus ist wie ein Marktforschungslabor.»