Nicht ohne meine Brille
«Avatar» sorgt für Goldgräberstimmung bei den Herstellern von Unterhaltungselektronik: Bald werden wir Filme oder Fussballspiele auch zu Hause in 3-D sehen können.
Florian Maier ist einer der wenigen 3-D-Filmexperten Europas. Er wird derzeit überrannt mit Anfragen von Regisseuren, die ihre Filme in 3-D realisieren wollen. «Einzelne Produzenten brechen sogar ihre laufenden Filmprojekte ab, um sie neu in 3-D zu drehen», sagt Maier. Andere wollen bereits fertiggestellte 2-D-Filme dreidimensional umgestalten. Für den Münchner ist der Grund dafür klar: «Der Film ‹Avatar› hat eine phänomenale 3-D-Welle im gesamten Filmgeschäft ausgelöst.»
Im letzten Jahr erschienen rund 30 3-D-Produktionen, darunter «Ice Age 3» und «Coraline». Nach dem Erfolg von «Avatar» werden jetzt auch nicht-animierte Filme in 3-D erscheinen. Warner hat gerade entschieden, den letzten, zweiteiligen «Harry Potter»-Film in 3-D zu lancieren.
Der gegenwärtige 3-D-Tsunami macht nicht beim Filmgeschäft halt. Fernsehanstalten, Game-Produzenten und die Hersteller von Unterhaltungselektronik werden in den nächsten Monaten in die neue Dimension vorstürmen, als hätten sie all die Jahre davor nur auf «Avatar» gewartet.
Das Fernsehen wird bei der Fussball-WM in Südafrika erstmals rund zwei Dutzend Begegnungen in 3-D übertragen. Dafür werden parallele Filmkameras von Sony am Rand des Feldes stehen. Live mitverfolgen kann man die Matches in ausgewählten Kinos in fünf europäischen Städten, allerdings nicht in der Schweiz.
ESPN startet bei der Fussball-WM einen 3-D-Sender
Der Disney-Sportsender ESPN wird mit dem WM-Auftaktspiel seinen eigenen 3-D-Sender starten. Bereits im April geht in Grossbritannien der PayTV-Anbieter Sky mit einem 3-D-Programm auf Sendung. Der französische Canal+ will ebenfalls noch 2010 einen 3-D-Kanal lancieren.
Bei den Computerspielen dringt 3-D bereits in den Alltag vor. Vier von fünf aktuellen PC-Spielen enthalten eine 3-D-Funktion, die man mit einer 3-D-Brille von Nvidia nutzen kann. 400 3-D-Spiele sind bereits auf dem Markt.
Die Hersteller von Unterhaltungselektronik sind seit dem Erfolg von «Avatar» geradezu in Goldgräberstimmung. Sie haben bereits mit der Umstellung auf das hochauflösende Fernsehen gut verdient, das soll nun mit dem Wechsel auf 3-D-Technik nahtlos weiter- gehen. Ende März kommen die ersten 3-D-Fernseher in die Schweizer Läden. Zeitgleich folgen die ersten 3-D-Bluray-Spiele. Bei Samsung kostet das Paket aus TV und Bluray rund 4000 Franken. Sony wird seine Playstation 3 im Sommer mit einem Software-Update gratis für 3-D-Bluray-Filme und -Spiele fit machen. Von Microsoft erwartet man demnächst eine neue 3-D-Xbox, Panasonic hat kürzlich die erste 3-D-Filmkamera mit zwei Linsen vorgestellt.
Die «Tagesschau» wird es noch lange nicht in 3-D geben
Das tönt verheissungsvoll, aber es gibt auch Wermutstropfen: So sind 3-D-Fernseher ein Fünftel teurer als normale Geräte, und die Produktionskosten der Filme liegen 10 bis 30 Prozent höher.
Das grösste Hindernis für die Verbreitung von 3-D werden aber zunächst die fehlenden Inhalte sein. Die TV-Anstalten werden normale Studiosendungen wie die «Tagesschau» noch lange nicht in 3-D-produzieren, und auch 3-D-Bluray-Filme erscheinen nur zögerlich. Offiziell angekündigt sind bisher nur «Monsters vs. Aliens», die Animationskomödie «Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen» und Disneys «Weihnachtsgeschichte». Kaum ein Hindernis wird dagegen die 3-D-Brille sein, die es auch auf dem Sofa braucht, um die dritte Dimension zu sehen. Wem die Brille zu umständlich ist, schaltet per Knopfdruck auf 2-D zurück.
Langfristig sind dreidimensionale Bilder freilich nicht mehr aufzuhalten. Es ist eine Entwicklung in Gang gekommen, die unsere Sehgewohnheiten verändert: «Wir betrachten 3-D-Filme anders, nicht als Fläche, sondern wir fokussieren die einzelnen Objekte», sagt Barbara Flückiger, Gastprofessorin am Seminar für Filmwissenschaft an der Uni Zürich.
Filmemacher werden deshalb lernen müssen, mit 3-D umzugehen, sodass die Zuschauer nicht überfordert werden. Flückiger erwartet, dass die Schnitte wieder weniger rasch aufeinanderfolgen werden, damit den Zuschauern Zeit bleibt, die Bilder visuell abzusuchen. Weiter beobachtet sie, dass sich im 3-D-Film die Bildschwerpunkte in die Mitte verlagern. Künftige Geschichten müssen in jedem Fall über den Dinosaurier-Schock-Streifen des Imax-Kinos hinausgehen, wenn aus 3-D tatsächlich mehr werden soll als nur ein zusätzliches Gimmick.