Warum Game-Förderung gut ist

Super Mario ist ein Popstar wie Harry Potter oder Madonna. Höchste Zeit also, dass Pro Helvetia Computerspiele zur Kunstform erhebt und finanziell unterstützt.

In der Schweiz dreht sich die öffentliche Diskussion bei Computerspielen hauptsächlich um Egoshooter und Suchtgefahr. Deshalb ist es richtig und höchste Zeit, dass Pro Helvetia Games offiziell zur Kunstform erhebt. Die Kulturstiftung will in den nächsten zwei Jahren mit dem Programm «Game Culture» erstmals Computerspiele mit 1,5 Millionen Franken fördern.

In den nordischen Ländern, Frankreich oder Deutschland stehen Games schon längst auf den kulturpolitischen Agenden. Auch die Unesco hat das neue Medium als Kultur definiert, und einen Meilenstein setzte die US-Nationalbibliothek Library of Congress bereits vor drei Jahren, als sie einen Game-Kanon erstellte. Zu den Klassikern aller Zeiten zählen etwa Spacewar (1962), Zork (1980), Tetris (1985) oder die World-of-Warcraft-Serie (seit 1994).

Computerspiele sind wirtschaftlich von grosser Bedeutung. Der Markt setzt von allen Kulturzweigen am meisten um und zeigte sich auch in der Krise erstaunlich stabil. 2008 waren es weltweit erstmals über 40 Milliarden US-Dollar; allein in der Schweiz wurde im letzten Jahr Spiele-Software für mehr als 380 Millionen Franken abgesetzt. Hierzulande haben sich die Umsätze seit 2004 verdreifacht, während jene des Filmmarkts stagnieren und jene der Musikbranche gar dramatisch zurückgehen.

Auch wenn die Schweiz keine eigentliche Game-Industrie hat, sind viele kreative Köpfe vorhanden. Es hat sich eine kleine Game-Design-Szene entwickelt – laut Pro Helvetia sollen es 200 Designer und Firmen sein –, die das Potenzial hat, sich auch im Weltmarkt bemerkbar zu machen. So haben schon einige der bisher 30 Abgänger des Studienganges Game Design an der Zürcher Hochschule der Künste internationale Preise gewonnen.

2008 holten die ersten Absolventen mit dem Spiel «Feist» an einem Independent Games Festival in San Francisco auf Anhieb eine Auszeichnung. Das Rapperswiler Entwicklerstudio Bitforge mit dem iPhone-Spiel Orbital rangierte kürzlich in den Top-Empfehlungen, und einen kommerziellen Erfolg landete die Gameschmiede Giants mit ihrem «Landwirtschaftssimulator»: Eine halbe Million Mal wurde er bisher verkauft, was ihm Platz 1 der deutschsprachigen Amazon-Game-Charts bescherte.

Kids konsumieren Games häufiger als Bücher und Filme

Die wirtschaftliche Bedeutung sollte indes nicht das Hauptargument sein, wenn es um Kulturförderung geht. Viel mehr wiegt die Tatsache, dass Computerspiele mittlerweile zu unserer Alltagskultur gehören, auch wenn wir das gerne verdrängen. Fast jeder zweite Schweizer vertreibt sich heute die Zeit mit Spielen; bei den unter 20-Jährigen sind es gar 90 Prozent. Vom Enkel bis zur Grossmutter zocken sie gelegentlich, vorzugsweise auf dem Handy oder in sozialen Netzwerken; das Facebook-Spiel Farmville etwa zählt weltweit über 60 Millionen Teilnehmer.

Kids wachsen mit Games auf und konsumieren sie häufiger als Bücher oder Filme. Super Mario ist heute genauso ein Popstar wie Harry Potter, Madonna oder James Bond. Es ist deshalb an der Zeit, diese Alltagskultur mit denselben Ellen zu messen wie anderes Kulturgut.

Trotz all dem haben es Computerspiele bisher kaum auf die Kultur-Seiten von Zeitungen geschafft. Das mag an der Generation der verantwortlichen Redaktoren liegen, die Games meist nur vom Hörensagen kennen. Mittelfristig dürfte sich das ändern. Wer sich neugierig auf das interaktive Medium einlässt, internationale Kreativgipfel wie das jährlich in Zürich stattfindende «Gamehotel» besucht oder selbst knobelt, erkennt rasch die Vielfalt des Genres und den immer wieder künstlerischen Ausdruckswillen. Lediglich 15 Prozent der verkauften Spiele sind Egoshooter.

Geld bekommen sollen die jungen Wilden der Szene

Spiele sind nicht an sich Kunst, aber es gibt solche, die Kunst sind, und viele, die Kunst werden können. Es sind Games, die sich von der Masse abheben. Etwa die wie gemalt wirkenden, japanischen Motive von Okami. Oder das Playstation-Spiel Shadow of the Colossus, «ein stilles Meisterwerk» («Spiegel») ohne Levels, fetzigen Soundtrack und Waffen-Upgrades, sondern einfach mit einer Geschichte und wunderbar verträumten Landschaften.

Wenn nun Pro Helvetia mit Geldern die neue Kunstform fördern will, fliesst davon der grösste Teil in Aufklärung über das kreative Potenzial von Games (siehe Kasten). Im Herbst wird ein Wettbewerb lanciert, der Game-Entwickler zu anspruchsvollen Konzepten ermutigen soll. Es werden keine «Killerspiele» gefördert; vielmehr existieren klare Vorstellungen, was eine beitragswürdige Kreation erfüllen muss: Sie muss laut Pro-Helvetia-Direktor Pius Knüsel eine Ästhetik aufweisen, die einen künstlerischen Anspruch verfolgt, sie muss interaktiv sein und den Spieler in interessante Entscheidungssituationen bringen, und sie muss inhaltlich interessant sein.

Man will keine Blockbuster fördern, sondern eine junge Generation von Programmierern, die in der Independent-Szene aktiv ist. Diese jungen Wilden experimentieren seit jeher frisch drauflos: Beispiele sind etwa das simple, witzige Physikrätsel Crayon Physics Deluxe oder die psychedelische Farbexplosion Audiosurf. Oder das Knobelspiel Colorbind des Schweizers Daniel Lutz fürs iPhone. Während aber früher kaum ein Team die finanziellen Mittel hatte für Entwicklung, Vermarktung und Vertrieb der Produkte, halten heute die Spielekünstler ihre Kreationen im Internet feil. Mit einigem Erfolg: Die Werke lassen sich gut verkaufen.

Es braucht also wenig, um in der Schweiz eine fruchtbare Game-Industrie installieren zu können. Ein Markt ist da; wenn staatliche und wirtschaftliche Förderungsgelder dazukommen, kann die Branche auch hier wachsen.

In den letzten Jahren haben Independent-Games Bewegung und frischen Wind in ein eintöniges Spieleangebot gebracht. Wenn wir also gute Computerspiele wollen, nützt es nichts, die schlechten und gewalttätigen zu verbieten; vielmehr geht es darum, die kreativen Kräfte und innovative Konzepte zu fördern.

Simone Luchetta